Neue Broschüre: Antinationale Schriften I

Unsere neue Broschüre: „Antinationale Schriften I“ (ca. 121 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) hier über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Zur Ökonomie und Psychologie des Nationalismus

1. Nationalkapitale und Nationalstaaten
2. Individualismus und Nationalismus
3. Reproduktiver Klassenkampf und Nationalismus
4. Die Weltrevolution als Zerschlagung aller Nationalstaaten

Die Herausbildung des vietnamesischen Nationalstaates

1. Vietnam als französische Kolonie
2. Vietnam im Zweiten Weltkrieg
3. Das nordvietnamesische Regime
4. Der britische Imperialismus in Südvietnam
5. Der französische Krieg gegen Vietnam
6. Die Intervention des US-Imperialismus
7. Die kleinbürgerliche politische Linke als Lautsprecher des
vietnamesischen Nationalismus

Die bundesdeutsche Annexion der DDR

1. BRD und DDR im Kalten Krieg
2. Die Todeskrise des ostdeutschen Staatskapitalismus
3. Die Grenzöffnung
4. Erste Avancen der Sowjetunion an die BRD
5. Proprivatkapitalistische Illusionen in der DDR
6. Die kleinbürgerliche DDR-Opposition
7. Die Offensive der bundesdeutschen Bourgeoisie
8. Moskau verkauft die DDR
9. Der friedliche Anschluss der DDR

Der westliche Menschenrechts-Imperialismus in Aktion

1. Die westlichen Menschenrechtsimperialismen
2. Syrien
3. Ukraine/Krim

Ukraine/Krim (Auszug)

Ab November 2013 spitzte sich der Konflikt zwischen dem westlichen Menschenrechts-Imperialismus und dem imperialistischen Russland um die Ukraine enorm zu. Um diese Zuspitzung zu verstehen, müssen wir zuerst die Vorgeschichte dieser imperialistischen Rauferei analysieren.
Der ukrainische Nationalismus konnte sich erst in den 1990er Jahren einen eigenständigen und einigermaßen stabilen Nationalstaat schaffen. Davor war die Ukraine Spielball anderer Imperialismen, genauer Spielball des deutschen, österreichisch-ungarischen, polnischen und russischen/sowjetischen Imperialismus. Schauen wir uns die wechselhafte Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert etwas genauer an. Der erste „unabhängige“ ukrainische Nationalstaat entstand im Januar 1918 im Ersten Weltkrieg unter massiver Geburtshilfe des deutschen Imperialismus. Im Osten und im Zentrum der Ukraine, einschließlich der Hauptstadt Kiew, hatte allerdings der prostaatskapitalistische Bolschewismus die Macht. Deshalb diente sich die gutsbesitzende-proprivatkapitalistische Sozialreaktion an den deutschen Imperialismus und Österreich-Ungarn an. Im Austausch gegen Lebensmittellieferungen marschierten die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen in die Ukraine ein und drangen von dort aus weiter nach Osten vor. Am 1. März 1918 eroberte der deutsche Imperialismus Kiew. Dieser Offensive war das bolschewistische Lenin/Trotzki-Regime nicht gewachsen. Es schloss am 3. März unter dem Druck der Mittelmächte den Raubfrieden von Brest-Litowsk, welcher auch die „Unabhängigkeit“ der Ukraine, also deren Abhängigkeit von Deutschland und Österreich-Ungarn, garantierte. Die Westukraine wurde nach der Niederlage von Deutschland und Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg von Polen erobert, während die Ostukraine nach dem bolschewistischen Sieg im BürgerInnenkrieg (1918-1921) Bestandteil der staatskapitalistischen Sowjetunion wurde. Nachdem der deutsche NS-Faschismus und der Kreml durch den Hitler-Stalin-Pakt 1939 Polen imperialistisch aufgeteilt hatten, geriet auch die Westukraine in die Hände des sowjetischen Imperialismus.
Der ukrainische Nationalismus, dessen Wiege die Westukraine war und der sich besonders blutig während des Zweiten Weltkrieges entlud, war extrem antijüdisch, antipolnisch und antirussisch. Nicht wenige ukrainische NationalistInnen kollaborierten während des Überfalles des deutschen Imperialismus auf die UdSSR mit den Hitlerfaschisten. Die SS Galizien war blutige Verkörperung dieser Kollaboration. Der Führer der ukrainisch-nationalistischen Nazikollaborateure von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), Stepan Bandera, ist nicht nur für den heutigen faschistischen Flügel des ukrainischen Nationalismus sondern auch für viele prowestliche DemokratInnen ein Nationalheld, während er für nicht wenige heutige ostukrainisch-prorussische Kräfte ein „Verräter“ darstellt. In einem Lied der OUN-Milizen hieß es: „Die Juden werden wir abschlachten, die Polen erdrosseln, aber die Ukraine müssen wir erkämpfen.“ So sangen sie nicht nur, so handelten sie auch. Die OUN war eindeutig an Hitlerdeutschland ausgerichtet, auch wenn die deutschen Nazis Bandera drei Jahre einsperrten, nachdem er am 30 Juni 1941 die Unabhängigkeit der Ukraine proklamiert hatte.
Doch der heutige prowestliche und antirussische demokratische Nationalismus braucht die OUN als Teil seiner Gründungsmythologie. So schrieb die ukrainische Kyivipost in einer „Top Ten der Lügen des Kremls“: „Faschisten sind keine Banderisten, und Banderisten sind keine Faschisten. Wäre Stepan Pandera, Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, ein Faschist gewesen, er würde doch wohl keine drei Jahre von 1941 bis 1944 in einem deutschen Nazigefängnis verbracht haben (…)“ (Zitiert nach Thomas Eipeldauer, Faschistische Hegemonie, in: junge Welt vom 8./9. März 2014, S. 11.) Die Argumentation ist natürlich ziemlich fadenscheinig. Denn natürlich verhafteten die FaschistInnen auch FaschistInnen, so wie StalinistInnen StalinistInnen liquidierten und DemokratInnen heute noch repressiv gegen DemokratInnen vorgehen.
Nachdem der antifaschistische sowjetische Imperialismus seine früheren faschistischen Spießgesellen 1945 besiegt hatte, war der bewaffnete ukrainische Nationalismus aber noch nicht am Ende. Bis in die 1950er Jahre hinein kämpften die ukrainischen NationalistInnen in der Westukraine bewaffnet gegen den sowjetischen Imperialismus. Letzterer krönte seinen militärischen Sieg über die westukrainischen NationalistInnen mit der Ermordung Banderas. 1959 wurde der ukrainische Nationalist in München durch einen KGB-Agenten liquidiert.
Doch nach dem Zerfall der staatskapitalistischen UdSSR schlug auch die späte Geburtsstunde des ukrainischen Nationalstaates. Am 24. August 1991 verabschiedete das Kiewer Parlament die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine. Während die Sowjetunion die praktische Gesamtkapitalistin auf ihrem Territorium war und die alten privatkapitalistischen Nationalstaaten die ideellen Gesamtkapitalisten darstellen, verkörperten die nachsowjetischen Nationalstaaten einschließlich der Ukraine während der Phase der Reprivatisierung des Kapitals die reellen Gesamtkriminellen. Die neue ukrainische Bourgeoisie als herrschende Klasse des neuen Nationalstaates setzte sich aus der kriminellen Unterwelt und der alten ehemaligen sowjetischen Partei- und Staatsbürokratie (Nomenklatura) zusammen. Wir wollen das an Hand zwei bekannter ukrainischer PolitikerInnen verdeutlichen. Da haben wir zum Beispiel die Gasprinzessin Julia Timoschenko. Laut Reinhard Lauterbach „verkörpert Julia Timoschenko, Jahrgang 1959, idealtypisch die Nomenklatura-Privatisierung der neunziger Jahre. Sie hatte das historische Glück, in den Perestroika-Jahren einen einflussreichen Schwiegervater zu haben: den für Kultur zuständigen Referenten des Dnipropetrowsker Gebietsparteikomitees. Gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann verdiente sie ihr Startkapital mit dem Verkauf von – den Umständen nach –Schwarzkopien westlicher Filme, auf deren lizensierte Kopien der hochgestellte Verwandte Zugriff hatte. Später handelte sie u.a. mit Grubenholz und russischem Gas und stieg im Clan des Dnipropetrowsker Paten Pawlo Lasarenko zur Nummer zwei auf. Als der damalige Präsident Leonid Kutschma Lasarenko 1999 als geschäftlichen Konkurrenten aus dem Verkehr zog, verlor Julia Timoschenko die für ihre Geschäfte notwendige politische Protektion. Daraufhin legte sie eine 180-Grad-Drehung von der Schattenunternehmerin zur Sauberfrau hin und bekämpfte in mehreren Regierungsämtern diejenigen Oligarchen, die geschäftlich mehr Glück gehabt hatten als sie. Ihr Insiderwissen kam ihr dabei zugute – auch persönlich.“ (Reinhard Lauterbach, Eine Frau mit Vergangenheit, in: junge Welt vom 24. Februar 2014, S. 3.)
Über den langjährigen Gegner im innerkapitalistischen Fraktionskampf von Timoschenko, dem Ende Februar 2014 von der demokratisch-faschistischen Sozialreaktion gestürzten Expräsidenten Wiktor Janukowitsch, schrieb Lauterbach: „Der aus kleinkriminellem Milieu über Türsteherjobs und Personenschutz neureicher Unternehmer aus dem Kohlenrevier des Donbass zum Politiker aufgestiegene Zwei-Meter-Mann war in seiner Kariere immer nur der Strohmann Mächtigerer, die hinter ihm standen. Über seine Unbildung kursieren Legenden, über seine Korruptheit und Geldgier auch. An letzterem ist wahrscheinlich viel dran. Vor den Toren von Kiew ließ er sich auf 34 Hektar Grund eine Residenz bauen, die schon als ,ukrainisches Versailles‘ bezeichnet wird. Seinem Sohn ermöglichte er den Aufstieg in die Oligarchie mit einem zuletzt auf mehrere hundert Millionen Dollar bezifferten Vermögen. Wahrscheinlich hat dies dazu beigetragen, dass die älteren Oligarchen beschlossen, sich seiner zu entledigen oder ihm zumindest seine Grenzen zu zeigen.“ (Reinhard Lauterbach, Verbrannter Strohmann – Wiktor Janukowitsch und sein Erbe, in: junge Welt vom 24. Februar 2014, S. 3.)
Ja, in dem neuen privatkapitalistischen Nationalstaat Ukraine wurden und werden die Fraktionskämpfe innerhalb der Bourgeoisie etwas härter ausgetragen als im „alten Europa“. Auch die geopolitische Ausrichtung des neuen Nationalstaates zwischen der EU und Russland war Teil des innerkapitalistischen Konkurrenzkampfes der ukrainischen Bourgeoisie und ihres jeweiligen politischen Personals. Während die westukrainische Bourgeoisie und deren Kopf- und Handlanger eher prowestlich geprägt ist, nahmen die verfeindeten Klassengeschwister in der Ostukraine eher einen prorussischen Standpunkt ein. In der Ostukraine ist auch Russisch eine weit verbreitete Sprache. Da hinter der jeweiligen Fraktion der ukrainischen Bourgeoisie also jeweils der westliche Menschenrechts-Imperialismus oder das imperialistische Russland standen, war der Fraktionskampf zwischen ost- und westukrainischer Bourgeoisie zugleich ein internationalisierter Konflikt zwischen dem Westen und Russland. Gleichzeitig war dieser imperialistisch-innerkapitalistische Kampf um die Macht in der Ukraine ein ethnisch verbrämter Kampf, die jeweiligen nationalistischen Phrasen dienten dazu die kleinbürgerlichen und proletarischen Massen ideologisch in das jeweilige Lager zu ziehen. Auch in diesem Fall war die nationalistische Ideologie-Produktion mal wieder sehr erfolgreich.
So wurde also der Fraktionskampf zwischen der eher prowestlichen westukrainischen Bourgeoisie und deren verfeindeten prorussischen Klassengeschwistern in der Ostukraine auch ein geographisch-ethnischer Konflikt. Die Ostukraine ist dabei wesentlich sozialökonomisch reicher und industrialisierter als der Westen des Landes. Der linksnationale prorussische „Antiimperialist“ Rainer Rupp schrieb über die geographisch-soziale Spaltung der Ukraine: „Laut offiziellen Zahlen des Statistischen Dienstes der Ukraine trägt die im Osten angesiedelte Schwerindustrie mindestens dreimal mehr zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes bei als es die Landwirtschaft und die Kleinbetriebe im Westen tun. So haben Regionen im Osten in der Regel ein weitaus höheres Pro-Kopf-Einkommen. Für das Jahr 2011 werden zum Beispiel 4748 Dollar in der östlichen Region Dniperpropetrowsk, eines der wichtigsten Industriezentren der Ukraine, genannt, während das Pro-Kopf-Einkommen in der Region Lwiw im Westen der Ukraine (…) mit 2312 Dollar weniger als die Hälfte betrug. Die übrigen Westregionen sind noch viel ärmer. Von einigen Ausnahmen um Kiew abgesehen liegt die Mehrheit der größten ukrainischen Unternehmen im Osten. Es sind Bergbau- und Stahlunternehmen, weiterverarbeitende Betriebe und Energieunternehmen. Sie exportieren hauptsächlich nach Russland.“ (Rainer Rupp, Sitzt der Westen am kürzeren Hebel?, in: junge Welt vom 25. Februar 2014, S. 3.)
Der westliche Menschenrechts-Imperialismus und die westukrainische Bourgeoisie konnten 2004/2005 mit der von diesen Kräften großzügig gesponserten „Orangen-Revolution“ gegen das vorwiegend von der ostukrainischen Bourgeoisie getragenen und eher prorussischen Janukowitsch-Regime der Partei der Regionen einen wesentlichen Sieg davontragen. Eine Charaktermaske der prowestlichen „Orangen-Revolution“ war neben dem neuen Präsidenten Wiktor Juschtschenko die Gasprinzessin Julia Timoschenko. Interne Rivalitäten zwischen Juschtschenko und Timoschenko und einige Korruptionsskandale sorgten mit dafür, dass die revolutionären Orangen nach nur fünf Jahren schon wieder verfault waren. 2010 wurde dann Wiktor Janukowitsch durch freie Wahlen demokratisch zur neuen regierenden Charaktermaske der Ukraine ermächtigt. Hinter Janukowisch stand lange Zeit der „Pate von Donezk“, der Oligarch Rinat Achmetow. Janukowitsch gelang es auch seit 2004 die „Kommunistische“ Partei der Ukraine („K“PU) in sein politisches Boot zu holen.
In dem Machtkampf mit dem prowestlichen Flügel der ukrainischen Bourgeoisie zog Janukowitsch nicht gerade die Samthandschuhe an. Besonders hart ging Janukowitsch gegen Timoschenko vor, er ließ „die Staatsanwaltschaft in ihrer Vergangenheit wühlen. Zum Verhängnis wurde ihr schließlich ein Gasdeal, den sie 2009 mit Wladimir Putin abgeschlossen hatte und an dem sich eine in der Schweiz angesiedelte Vermittlerfirma dumm und dämlich verdiente. Wegen Veruntreuung von Staatsmitteln und Amtsmissbrauch wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt.“ (Reinhard Lauterbach, Eine Frau mit Vergangenheit, a.a.O.) Doch nun begann – besonders der deutsche – westliche Menschenrechts-Imperialismus für Frau Timoschenko seine Stimme zu erheben. Aber gleichzeitig war dem bundesdeutschen Imperialismus Timoschenkos Vaterlandspartei nicht verlässlich genug. So entstand mit der UDAR unter Führung des Boxers Witali Klitschko mit massiver Unterstützung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung eine weitere Formation im Kampf um die Menschenrechte. Gleichzeitig sollte Janukowitsch aber auch mit viel Druck dazu gebracht werden, die Ukraine stärker in das EU-Einflussgebiet zu führen. Diese Doppelstrategie Berlins – sowohl auf die Regierung als auch auf die Opposition zu setzen – ging zunächst wegen der Offensive des russischen Imperialismus nicht auf.
Janukowitsch versuchte zwischen der EU und dem russischen Imperialismus zu lavieren. Doch das war Ende 2013 nicht mehr möglich, weil sowohl der westeuropäische als auch der russische Imperialismus die Ukraine ganz und ausschließlich in seinem Einflussgebiet haben wollte. Die EU wollte mit der Ukraine ein Assoziierungsabkommen abschließen. Assoziierungsabkommen schließt die EU im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik ab, um außerhalb der EU liegende Nationalstaaten besser in das Einflussgebiet ihres sozialökonomischen Imperialismus zu bekommen. Vor der Ukraine schlossen bereits 16 Staaten mit der EU solche Assoziierungsprogramme ab. Offiziell geht es natürlich um solche edlen Dinge wie Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit – und natürlich auch um mehr Marktfreiheit. „Was nicht gesagt wird ist, dass das Hauptmotiv der wirtschaftlichen Integration darin besteht, die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, Ökonomien in die expandierende Wirtschaft des Imperiums (der EU) einzugliedern und Zugang zu natürlichen Ressourcen in der energiereichen Nachbarschaft zu erhalten. Die riesige Ansammlung vom Wohlstand und wirtschaftlicher Macht der EU hat ihr einen Hebel gegeben, um marktfreundliche Reformen einschließlich Privatisierung, Handelsliberalisierung und der Übernahme der EU-Regulationsmechanismen durchzusetzen und gleichzeitig die weiterführenden Debatten in den peripheren Gesellschaften zu umgehen.“ (Bogdana Dimitrovova, Imperial re-bordering of Europe: the case oft he European Neigherhood, in: Campridge Review of International Affairs, Nr. 2/2012, S. 254.)
Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und der EU über ein Assoziierungsabkommen fanden ab 2005 statt, sowohl als die erstere von dem prowestlichen Orangen-Regime regiert wurde als auch unter dem Regime des „prorussischen Diktators“ Janukowitsch. Ab 2012 war der Vertrag unterschriftsreif. Er sieht unter anderem die Absenkung der jeweiligen Zölle um 99,1 Prozent (Ukraine) und 98,1 Prozent (EU), die weitgehende Beseitigung von Mengenbegrenzungen und anderer so genannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse vor. Auch war ein „freier und fairer Wettbewerb“ zwischen EU-Firmen und ukrainischen Unternehmen vorgesehen –wie viele von den letzteren diesen freien Konkurrenzkampf aushalten werden, steht in den Sternen. Dieses Abkommen ist also vor allem ein Risiko für die ostukrainische Industrie. Das hielt wohl auch Janukowitsch unter anderem davor ab, den Vertrag mit der EU zu unterschreiben.
Zumal der russische Bär bedrohlich zu brummen anfing und auch schon seine scharfen Krallen zeigte. Teil des imperialistischen Kampfes um die Ukraine war, dass die prorussische Ideologie-Produktion die Gefahren des Assoziierungsabkommens mit der EU für die Ukraine in den düstersten Farben mahlte. So schrieb Putins Berater für eurasische Integrationsfragen, Sergej Glasjew: „Wenn die Ukraine die Vereinbarung über die Assoziation mit der EU unterzeichnet und sich in diese nicht gleichberechtigte Freihandelszone begibt, so wird sie bis 2020 im Wirtschaftswachstum und in der Handelsbilanz ein Minus erhalten. Wir schätzen die Verluste auf etwa minus 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. Bis 2020 wird eine Verdrängung ukrainischer Waren vom eigenen Markt, begleitet von einem Wirtschaftsrückgang und einer Verringerung der Entwicklungsmöglichkeiten erfolgen.“ (Stimme Russlands, 7.11.2013, Zitiert nach: Jürgen Wagner, Ungehemmter Warenverkehr, in: junge Welt vom 5. Februar 2014, S. 10.)
Stattdessen versuchte der russische Imperialismus der Ukraine seinen eigenen eurasischen Wirtschaftsblock, die von ihm dominierte Zollunion aus Russland, Belarus und Kasachstan schmackhaft zu machen. Anfang 2014 gingen wohl über 30 Prozent der ukrainischen Exporte in die Staaten dieser Zollunion, während 25 Prozent in die EU gingen. Moskau und die EU stellten also die Ukraine vor die Wahl: Entweder Assoziierungsabkommen oder Beitritt zur eurasischen Zollunion. Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche ging der russische Imperialismus dazu über, die Ukraine aus dem potenziellen Einflussgebiet der EU zu ziehen. „Russland (…) schwang zwar durchaus die Peitsche, indem es bereits im Sommer 2013 mit Sanktionen drohte. Andererseits vergaß es aber auch nicht das Zuckerbrot, indem es früh beträchtliche Vergünstigungen in Aussicht gestellt hatte. Das führte mittlerweile dazu, dass russisches Gas nun um ein Drittel günstiger geliefert wird (Kostenersparnis allein 2014: umgerechnet drei Milliarden US-Dollar), und Moskau zugesagt hat, ukrainische Staatsanleihen in Höhe von 15 Milliarden Dollar aufzukaufen.“ (Jürgen Wagner, Ungehemmter Warenverkehr, a.a.O., S. 11.) Wie unschwer zu erkennen ist, wurden diese oben zitierten Sätze geschrieben, wo Janukowitsch noch nicht gestürzt worden war. Aber dieses gleichzeitige Krallenzeigen und freundliche Brummen des russischen Bären war erst mal von Erfolg gekrönt: Janukowitsch entschied sich Ende November 2013 gegen das Assoziierungsabkommen mit der EU – und damit für Moskau.
Diesen wichtigen Etappensieg des russischen Imperialismus nahm jedoch der westeuropäische Imperialismus nicht so einfach hin, wie auch im Sturmgeschütz der der deutschen Demokratie, im Spiegel, zu lesen war: „,Die Tür für die Ukraine bleibt offen‘, betonte Merkel nach der Pleite mehrfach. Man sei weiterhin gesprächsbereit. Das klang nach mühsamer Gesichtswahrung, wie sie nach Niederlagen üblich ist. Aber es heißt auch: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Und die Kanzlerin will vor der nächsten Runde eine neue Figur ins Spiel bringen: Witali Klitschko.“ (Spiegel 50/2013, Zitiert nach: Jürgen Wagner, Ungehemmter Warenverkehr, a.a.O., S. 10.)
In der Tat: Nachdem die Ukraine sich im November 2013 von der EU abgewandt und stärker in das russische Einflussgebiet zurückgekehrt ist, machte der westliche Menschenrechts-Imperialismus und die prowestliche Opposition auf dem Kiewer Maidan dem Janukowitsch-Regime das Leben schwer. Es entwickelte sich eine prowestlich-nationalistische Straßenbewegung, sowohl mit einem neoliberalen als auch einem faschistischen Flügel. Den prowestlich-neoliberalen Flügel der Opposition haben wir schon oben beschrieben, beschreiben wir jetzt den faschistischen Flügel genauer.
Schon vor der Entstehung der sozialreaktionären Straßenbewegung auf dem Maidan bestand die faschistische Partei Swoboda (Freiheit). Diese NeofaschistInnen stehen in der Tradition der ukrainischen Nazi-Kollaborateure um die SS-Division „Galizien“. Sie betreiben eine extrem antirussisch-antijüdische Propaganda und üben auf der Straße Terror aus. So behauptete der Swoboda-Führer Oleg Tiahnibok 2004, dass die Ukraine von einer „russisch-jüdischen Mafia“ regiert werde, gegen die mensch zum Maschinengewehr greifen müsse wie die einstige SS-Division „Galizien“. Später distanzierte sich Swoboda offiziell rein formell vom Antijudaismus. Diese offizielle Distanzierung reichte den ukrainischen DemokratInnen und auch den bundesdeutschen Grünen, wie wir weiter unten noch sehen werden. Die zwei größten demokratischen Oppositionsparteien der Ukraine, „Vaterland“ und UDAR, paktierten im Parlament offen mit Swoboda. Alle drei Oppositionsparteien schufen am 17. Dezember 2012 im Parlament einen gemeinsamen Oppositionsrat. Swoboda pflegte über Jahre hinweg enge Beziehungen zur NPD in Deutschland.
Mit der sozialreaktionären Straßenbewegung auf dem Maidan entwickelte sich Ende November 2013 auch eine neue faschistische Formation, der Prawy Sektor (Rechter Sektor). Zum Kern des Rechten Sektors gehören die FaschistInnen um die Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung (UNA-UNSO), die 1990 in Lwiw gegründet wurde. Die UNA-UNSO kämpfte in den nationalistischen BürgerInnenkriegen, die sich infolge des Zerfalls des sowjetischen Staatskapitalismus und der Neuformation nachsowjetischer privatkapitalistischer Nationalstaaten entwickelten, auf der Seite antirussischer Kräfte. So schickte die UNA-UNSO Milizionäre in die BürgerInnenkriege in Georgien und in Tschetschenien. Der besonders brutale Kommandant des rechten Sektors, Alexander Musitschko, sagte bereits im Jahre 2007, er würde „gegen Kommunisten, Juden und Russen kämpfen, solange Blut in meinen Adern fließt“. Auch zwischen der UNA-UNSO und der NPD bestanden gute Kontakte.
Dass die FaschistInnen schließlich die Bewegung auf dem Maidan dominieren konnten, hat verdammt viel mit dem grundsätzlich reaktionären Charakter dieser Straßenbewegung zu tun. Sie war von Anfang an vom ukrainischen Nationalismus geprägt. Dass sich dieser Nationalismus gleichzeitig in die Arme des westlichen Imperialismus warf, war nur scheinbar ein Widerspruch. Die Ukraine liegt geographisch zwischen zwei großen imperialistischen Blöcken, der Europäischen Union und Russland. Eine Unabhängigkeit zwischen beiden Blöcken ist objektiv nicht möglich. Das Lavieren zwischen EU und Russland war aber auch nicht mehr länger durchzuhalten, nachdem sich der imperialistische Konflikt um die Ukraine 1913 zuspitzte. So entschieden sich die regierenden Charaktermasken der ukrainischen Nation im November 2013 gegen die EU, während der oppositionelle westukrainische Nationalismus objektiv als fünfte Kolonne Brüssels und Berlins agierte. Auch Washington begann sich massiv einzumischen und aus sicherer Entfernung vom Brandherd viel offensiver als die EU die nationalistisch-sozialreaktionäre Bewegung zu unterstützen.
Viele kleinbürgerliche und proletarische Individuen gingen aus sozialem Frust gegen das Janukowitsch-Regime auf den Maidan. Doch ihr sozialer Frust war von Anfang an durch den Nationalismus ideologisch entfremdet. Sie kämpften vorwiegend nicht für sich selbst und ihre Interessen, sondern für „ihre“ Nation, die Ukraine. Doch wenn kleinbürgerliche und proletarische Individuen für „ihre“ Nation kämpfen, trampeln sie objektiv auf ihren eigenen sozialen Interessen herum. Denn die ukrainische Nation kann nur leben, indem sie große Teile des KleinbürgerInnentums und des Proletariats in das nackte Elend treibt. National agierende KleinbürgerInnen und ProletarierInnen können gar nichts anderes sein als Manövriermasse im innerkapitalistischen Gerangel. In diesem Falle waren die KleinbürgerInnen und ProletarierInnen auf dem Maidan nichts anderes als die Manövriermasse des prowestlichen Flügels der ukrainischen Bourgeoisie und des westlichen Menschenrechts-Imperialismus gegen den prorussischen Flügel der ukrainischen Bourgeoisie und das imperialistische Russland. Im Kampf zwischen Regime und Opposition traten die FaschistInnen am offensivsten auf. Jede größere Straßenbewegung – sei sie nun progressiv oder reaktionär – spült immer die entschiedensten, offensivsten und militantesten Kräfte nach oben. Die ukrainischen FaschistInnen wurden als Avantgarde einer grundsätzlich sozialreaktionären Bewegung groß.
Und als solche gingen sie im Verlauf dieser Bewegung auch gegen linksradikale KleinbürgerInnen und klassenkämpferischen ProletarierInnen, den linken Flügel des Maidan, vor. Der Kern jeder progressiven Bewegung ist das Proletariat, welches massenhaft die Arbeit niederlegt und aus den Fabriken und Büros auf die Straßen und Plätze strömt, um seinen sozialen Protest zum Ausdruck zu bringen. Der Kern und die Avantgarde der prowestlich-nationalistischen Straßenbewegung auf dem Maidan waren dagegen FaschistInnen. Wenn einige russische und ukrainische „RevolutionärInnen“ nicht mehr den Klassenunterschied zwischen einer proletarisch-klassenkämpferischen und einer bürgerlich-nationalistisch-proimperialistischen Bewegung erkennen können und den reaktionären Maidan „revolutionär“ verklären, zeigt das nur den geistigen Bankrott des kleinbürgerlichen Radikalismus.
Die FaschistInnen missachteten in der Praxis immer erfolgreicher das staatliche Gewaltmonopol des Janukowitsch-Regimes. So eskalierte im Februar 2014 der Machtkampf, der von beiden Seiten bewaffnet geführt wurde. Selbst VertreterInnen des EU-Imperialismus halten es möglich, dass in diesem Machtkampf faschistische Scharfschützen am 20. Februar sowohl auf staatliche Repressionsorgane als auch auf die Bevölkerung schossen, um den Konflikt weiter zuzuspitzen. Sie wollten mit aller Gewalt ein Kompromiss zwischen dem demokratischen Flügel der Bewegung und Janukowitsch verhindern. Vaterland und UDAR waren grundsätzlich zu einem solchen Kompromiss bereit, standen aber auch unter dem enormen Druck der sozialreaktionären Straßenbewegung. Der westliche Menschenrechts-Imperialismus, der in inneren Angelegenheiten in den eigenen Nationalstaaten auch bei geringeren Anlässen von der repressiven Toleranz zur toleranzlosen Repression übergeht, wollte dem Janukowitsch-Regime die offensive Verteidigung des staatlichen Gewaltmonopols nicht erlauben. Aufgrund dieses imperialistischen Druckes war Janukowitsch zu Kompromissen mit dem demokratischen Flügel der demokratisch-faschistischen Sozialreaktion bereit.
Der europäische Imperialismus, der grundsätzlich bereit ist FaschistInnen in seine Strategie einzubinden, aber natürlich auch oft seine eigenen demokratischen Spielchen den faschistischen Methoden des Machtkampfes vorzieht, versuchte durch eine letzte diplomatische Initiative den Machtkampf in der Ukraine in feinere Kanäle als den unmittelbaren physischen Straßenkampf zu lenken. Der deutsche Außenminister Frank Walter-Steinmeier und sein polnischer Kollege Radoslaw Sikorski erreichten in der Nacht vom 20. zum 21. Februar in Kiew ein Kompromiss zwischen politischer prowestlicher Opposition und dem Janukowitsch-Regime. Doch der EU-Versuch, den Machtkampf in der Ukraine nach alteuropäisch-demokratischen Spielregeln zu führen, war zum Scheitern verurteilt. Die FaschistInnen vom Rechten Sektor ließen sich als Avantgarde des Maidan nicht darauf ein. Der Konflikt hatte sich schon zu sehr zugespitzt, als dass er sich durch EU-Diplomatie lösen ließe. Im Laufe der eskalierenden Konfrontation zwischen der demokratisch-faschistischen Sozialreaktion und dem Janukowitsch-Regime, liefen große Teile des Staatsapparates zu ersterer über. Auch der bisherige wichtigste Hintermann von Janukowitsch, der Oligarch Rinat Achmetow, soll sich laut Reinhard Lauterbach „schon sehr früh gegen eine gewaltsame Beendigung der Maidan-Proteste ausgesprochen“ (Reinhard Lauterbach, Verbrannter Strohmann – Wiktor Janukowitsch und sein Erbe, a.a.O.) haben. Die FaschistInnen waren als Avantgarde des Maidan fest entschlossen Jnukowitsch zu stürzen, der sich in diesem Machtkampf nicht mehr auf seine Hintermänner und auf den Staatsapparat verlassen konnte. Seine Stunden waren gezählt.
So gelang es der sozialreaktionären Straßenbewegung mit den FaschistInnen als deren Avantgarde am 22. Februar 2013 Wiktor Jnukowitsch zu stürzen. Aus dem siegreichen Kampf im Machtkampf ging die neue Übergangsregierung hervor, welche vorwiegend von Timoschenkos Partei „Vaterland“ und Swoboda getragen wird. Die Superwaffe Merkels, Klitschko, manövrierte sich derweil sehr gekonnt selbst ins Aus. Der Mann bewies, dass Boxen nicht die gesündeste Sportart für das Oberstübchen ist. Klitschko wollte doch so gern Präsidentschaftskandidat der prowestlichen DemokratInnen bei den nächsten freien Wahlen werden, doch auch die inzwischen aus dem Knast geholte Frau Timoschenko war auf diesen Posten scharf. Aus Protest, dass die Vaterlandspartei nicht Timoschenko als Präsidentschaftskandidatin zurückzog, beteiligte sich Berlins Superstratege auch nicht an der neuen Übergangsregierung, die gar nicht weiß, was ihr dadurch entgeht. Wenn auch die neue Regierung sehr gerne auf Klitschko verzichtete, nahm sie jedoch die Dienste der einstigen Hintermänner Janukowitschs aus der Oligarchie genauso gerne in Anspruch. Viele von ihnen wurden Gouverneure des neuen Regimes. Diese neue Regierung wurde natürlich umgehend von der USA und der EU anerkannt, während Russland selbstverständlich dem real vollzogenen Machtwechsel nicht seinen diplomatischen Segen erteilte.
Während die FaschistInnen von Swoboda Regierungsfunktionen übernahmen, weshalb wir die „Übergangsregierung“ als demokratisch-faschistische Sozialreaktion bezeichnen, überzogen die StraßenfaschistInnen des Maidan nach dem Sieg über Janukowitsch die ukrainische Gesellschaft mit Gewalt. Diese richtete sich sowohl gegen die Denkmäler des sowjetischen Imperialismus als auch gegen Menschen –gegen die ehemaligen UnterstützerInnen des Janukowitsch-Regimes, gegen die Partei der Regionen, die „K“PU, prorussische Kräfte, Juden, Linke und auch gegen jene Charaktermasken des ukrainischen Staatsapparates, die nach Ansicht der FaschistInnen nicht national-chauvinistisch und antirussisch genug waren. „Ein in Lederjacken gekleideter Stoßtrupp unter Leitung des ,Swoboda‘-Abgeordneten Igor Miroschnitschenko überfiel am Mittwoch (19. März 2014) den Direktor des staatlichen ukrainischen Fernsehens NTKU in seinem Büro, verprügelte ihn und zwang ihn unter unflätigen Beschimpfungen, ein Rücktrittsgesuch aufzusetzen. Anlass für den Überfall war die Übertragung eines Konzerts aus Moskau, die das Staatsfernsehen von dem maidan-freundlichen Privatsender espresso.tv übernommen hatte. Der Fernsehsender Tonis wurde von bewaffneten Kämpfern des ,Rechten Sektors‘ besetzt. Diese legten dem Sender eine ,redaktionelle Zusammenarbeit‘ mit der Schlägertruppe nahe. Der Kanal gehörte bis zum Staatsstreich dem Sohn des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch.“ (Reinhard Lauterbach, Putschisten ohne Basis, in: junge Welt vom 20. März 2014, S. 1.)

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