Neue Broschüre: Der chinesische Kapitalismus 1. Teil von den Anfängen bis 1978

Unsere neue Broschüre: „Der chinesische Kapitalismus 1. Teil von den Anfängen bis 1978“ (ca. 124 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung
I. Die ersten Keime des Kapitalismus im alten China
1. Allgemeine Betrachtungen über den vorindustriellen Kapitalismus
2. Der vorindustrielle Kapitalismus in China

II. Die imperialistische „Öffnung“ Chinas durch das Auslandskapital
1. Der globale Industriekapitalismus
2. Opiumkriege, ungleiche Verträge, Gebietsabtretungen und Kapitalexport
3. Russland, Japan und China
4. Ausländischer Imperialismus und chinesischer Nationalismus

III. Die Herausbildung des chinesischen Nationalkapitals
1. Die europäische revolutionäre Nachkriegskrise
2. Die staatskapitalistische Sowjetunion
3. Die chinesische Republik
4. Regionale Warlords und gesamtchinesischer Nationalismus
5. „30.-Mai-Bewegung“, Nordfeldzug und kapitalistische Konterrevolution
6. Staatskapitalistischer Putschismus und imperialistische Konkurrenz um die Ostchinesische Eisenbahn
7. GMD, japanischer Imperialismus, Trotzkismus, Anarchismus und „K“PCh
8. Die sozialökonomische Entwicklung Chinas (1914-1949)

IV. Staatskapitalismus
1. Die Verstaatlichung des Kapitals
2. Bodenreform und Kollektivierung im Agrarsektor
3. Das Verwelken der 100 Blumen
4. Staatskapitalistischer Größenwahn: „Der große Sprung nach vorn“
5. „Die große proletarische Kulturrevolution“: Staatskapitalistische PolitideologInnen gegen proprivatkapitalistische WirtschaftstechnokratInnen
6. Fraktionskämpfe nach der „Kulturrevolution“

V. Chinas Stellung im Weltkapitalismus (1949-1978)
1. China und der globale Staatskapitalismus
2. China und der globale Privatkapitalismus

4. Staatskapitalistischer Größenwahn: „Der große Sprung nach vorn

KapitalistInnen, ManagerInnen und PolitikerInnen sind politökonomische Charaktermaskendes Kapitals, welches konkurrenzförmig vermehrt wird. Der ständige Vergleich mit der Konkurrenz treibt diese an. Höher, schneller, weiter! Der Konkurrenz voraus zu sein, oder wenigstens Boden gut machen, mit dem brennendem Ehrgeiz dieser eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages nur noch die Schlusslichter zu zeigen – das ist die Sozialpsychologie der Charaktermasken der Einzel- und Nationalkapitale, wie diese naturwüchsig aus der kapitalistischen Konkurrenz entsteht, sich mit ihr zu einem gewaltigen Motor entwickelt, der produziert, produziert und produziert… Dabei massenhaft das Proletariat verstümmelt, vergiftet und mordet und auch die Ökologie im Interesse der Kapitalvermehrung umgestaltet, sie in eine gewaltige Tankstelle natürlicher Ressourcen und eine monströse Mülltonne für die Abfälle der Kapitalvermehrung verwandelt.
Auch die obersten PolitbürokratInnen Chinas mit ihrem „Großen Vorsitzenden“ an der Spitze waren als Charaktermasken des Staatskapitals von diesem Ehrgeiz mehr als ergriffen, sie waren regelrecht zerfressen davon. China war ein Jahrhundert lang der Spielball fremder Imperialismen, weil es der kapitalistischen Entwicklung hinterher hinkte. Aber damit ist jetzt Schluss! Die Partei, Vater und Mutter der Nation, zeigt allen unerschütterlich den Weg nach vorn!
Die Kapitalvermehrung ist maßlos und damit auch der brennende Ehrgeiz seiner Charaktermasken. Zu viel ist nicht genug! So tickten auch die chinesischen Politbonzen mit Mao an der hierarchischen Spitze. China war in seiner ursprünglichen Industrialisierung und hatte noch gewaltig aufzuholen. So betrug die industrielle Wachstumsrate von 1952 bis 1957 14 Prozent. Das geht aber noch viel besser! Mao stachelte seine Nation im Januar 1958 zu einem „Großen Sprung nach vorn“ an. Den privat- und staatskapitalistischen Konkurrenznationen sollte Hören und Sehen vergehen! Zumal der „große Bruder“ in Moskau seine Warenlieferungen an China 1957 stark eingeschränkt hatte (siehe dazu Kapitel V.1), auch ihm musste gezeigt werden, wo der Hammer hängt!
China war noch immer eine Agrarnation – durch „einen großen Sprung nach vorn“ sollte sie nach dem Willen Maos und seiner Bonzenklasse zu einer Industrienation werden und andere überholen. Völlig voluntaristisch gab sich der „Große Vorsitzende“ dem Wahn hin, dass der eiserne Wille der Nation – wobei er seinen eigenen Größenwahn mit dem Willen der Nation gleichsetzte – Berge versetzen könne. Besonders die Stahlproduktion hatte es Mao angetan, wie Renate Dillmann schrieb: „Letztlich kulminieren der nationale Ehrgeiz des Großen Vorsitzenden und sein Bedürfnis, die Massen dafür zu mehr revolutionärem Elan anzustacheln, der sie Hindernisse aller Art bewältigen lässt, in einer einzigen Zahl: 10,7 Millionen Tonnen Stahl sollen es sein, die 1959, im Jahr des ,Großen Sprungs‘ produziert werden. (Anmerkung von Renate Dillmann: Zum Vergleich: 1950 wurden 0,1, 1957 4,6 Mio. t Stahl produziert…) Ob diese Zahl den tatsächlichen Produktionsmöglichkeiten und -bedürfnissen entspricht, ob sie zum restlichen Stand der gesellschaftlichen Produktion (gibt es genug Eisenerz? Kohle? Transportkapazität? Etc.) passt – all das ist gleichgültig, weil es um etwas anderes geht. Der ,Große Sprung‘, den die KP und vor allem ihr ,Großer Vorsitzender‘ anordnen, soll nicht nur China in all seinen Problemlagen schlagartig nach vorne bringen, sondern auch der Welt die wiedergewonnene Kraft der chinesischen Nation beweisen.“ (Renate Dillmann, China – ein Lehrstück, a.a.O., S. 117.)
So verkündete die „K“PCh auf der zweiten Tagung des VIII. Parteitages der von ihr regierten Nation, dass „China sich in einer großen Periode befinde, in der ein Tag 20 Jahren gleichkäme. Sie ruft dazu auf, mit dem Aberglauben zu brechen und das Denken zu befreien und danach zu streben, Großbritannien und die USA noch früher als geplant einzuholen. (…) Wir haben mehr als 600 Millionen Menschen. Unsere Partei hat engste Verbindungen mit der mehr als sechshundertmillionenköpfigen Bevölkerung hergestellt. Gestützt auf diese große Kraft sind wir in der Lage, alles zu tun oder bald alles zu tun, was die Menschheit vollbringen kann. Es gibt nichts auf der Welt, was wir nicht vollbringen können.“ (Liu Suinian/Wu Qungan (Hg.), China sozialistische Wirtschaft. Ein Abriss der Geschichte 1949 bis 1984, Peking 1984, S. 238f.)
Wenn die politökonomischen Charaktermasken des Kapitals größenwahnsinnig werden, dann müssen dies die ihnen unterworfenen Klassen bezahlen. So war es auch in China während des „Großen Sprungs nach vorn“. Besonders die Landwirtschaft wurde von diesem staatskapitalistischen Größenwahn gewaltig umgestaltet – und sollte nach dem Willen der „K“PCh noch viel gewaltiger umgestaltet werden, was aber in einem großen Fiasko mit Millionen Toten endete. Zur Vorbereitung des „Großen Sprungs“ wurde die Kollektivierung der Agrarproduktion quantitativ und qualitativ von der staatskapitalistischen Partei 1958/59 massiv vorangetrieben. Die aus mehreren Dörfern bestehenden so genannten „Volkskommunen“, welche die Partei ab Juli 1958 schuf, stellte eine neue Qualität der Kollektivierung der Landwirtschaft dar. In ihnen wurde das landwirtschaftliche Eigentum komplett kollektiviert – auch das bisher noch geduldete Privateigentum der BäuerInnen an Gärten und privaten Feldern sowie landwirtschaftlichen Geräten, Schweinen und Hühnern wurde während des „Großen Sprungs“ komplett aufgehoben. Alle Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande wurde von der größenwahnsinnig gewordenen „K“PCh zwangskollektiviert – die Kinderbetreuung, das Essen, zum Teil auch das private Wohnen und Schlafen. Innerhalb von zwei Monaten wurden 99 Prozent der BäuerInnen in diese „Volkskommunen“ gezwungen.
Durch diese forcierte Zwangskollektivierung sollten die BäuerInnen dazu gebracht werden sowohl die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen als auch noch in dezentralen Hochöfen in den ländlichen Gebieten Stahl zu schmelzen. Sie sollten also nach dem Willen der staatskapitalistischen Partei BäuerInnen bleiben – und zugleich zu IndustriearbeiterInnen werden. Der „Große Sprung nach vorn“ basierte auf der staatskapitalistischen Überausbeutung der BäuerInnen und ProletarierInnen. Bis August 1959 wurden 240 000 kleine Hochöfen errichtet, in denen 4,5 Mio. Tonnen Stahl produziert wurde. In den restlichen vier Monaten des Jahres sollten nach dem Willen der größenwahnsinnigen staatskapitalistischen Partei 6 Mio. Tonnen produziert werden. So arbeiteten ab August 50 Millionen Menschen in Bergwerken oder in den inzwischen 600 000 zählenden Hochöfen. Ab September 1959 gewinnen 20 Millionen Beschäftigte in den Bergbaugebieten unter der politideologischen Führung der „K“PCh mit Hacken und Töpfen Kohle. Für den nationalen Erfolg an der Produktionsfront wurden die Volkskommunen regelrecht militärisch organisiert. Die Arbeitskräfte wurden in Produktionsbrigaden eingeteilt und auch die Einzelhaushalte in sie aufgelöst. Die Ernährung wurde in Volksküchen organisiert, die dadurch „überflüssig“ gewordenen individuellen Haushaltsgeräte – und dazu auch gleich noch für die Agrarproduktion nötigen Hacken und Spaten – wurden für die Stahlproduktion eingeschmolzen.
Der größenwahnsinnige „Sprung nach vorn“ endete in einem großen Fehlschlag. Zwar wurden unter dem politideologischen und geradezu militärischem Kommando der staatskapitalistischen Partei über die vereinte Arbeitskraft der ihr unterworfenen Bevölkerung auf primitiver technischer Grundlage Terrassenfelder angelegt und auf diese Weise neue Agrarproduktionsflächen gewonnen, insgesamt 100 000 Kilometer Landstraßen und Kanäle gebaut, Eisenbahnstrecken von einer Gesamtlänge von 2700 km geschaffen und für Wasserbauprojekte wie Stauseen und Dämme 58 Milliarden Kubikmeter Erde bewegt – dies alles verschlang aber gewaltige Massen an Arbeitskräften, die in der Agrarproduktion während der Ernte fehlten. Diese Ernte war eigentlich gut. Aber durch den Größenwahn der staatskapitalistischen Partei mit ihrem „Großen Vorsitzenden“ an der Spitze konnte sie nicht für die Ernährung der Bevölkerung genutzt werden. Die Ernte überstieg die Kräfte der für sie lediglich mobilisierten Frauen und Alten. Massenweise verdarb Baumwolle und Getreide auf den Feldern, der Großvieh- und Schweinebestand ging zurück. Über 20 Millionen Menschen verhungerten – bei einer eigentlich guten Ernte. Sie wurden ermordet vom staatskapitalistischen Größenwahn, geopfert auf dem Altar des nationalen Erfolges im in wahrsten Sinn des Wortes mörderischen globalen Konkurrenzkampf. Die Menschen, die Maos „Großen Sprung nach vorn“ überlebten, waren jahrelang durch die Überausbeutung ausgezehrt und unterernährt. Doch was zählten in der Tonnenideologie des Staatskapitalismus schon das Leben, die Gesundheit und das Glück von Menschen?!
Aber auch bei der Vermehrung des Staatskapitals hatte sich der „Große Sprung“ als Fehlschlag erwiesen. Unzählige Rohstoffe, Maschinen und Kreditmittel wurden für das unproportionierte Wachstum der Stahlproduktion vergeudet. Bereits begonnene Großprojekte überstiegen die physiologische und psychische Kraft der überausgebeuteten ProletarierInnen und BäuerInnen und stofflichen Ressourcen der Produktion. Auch das Transportwesen war den Anforderungen nicht gewachsen. Der von unqualifizierten bäuerlichen Arbeitskräften produzierte Stahl war zum großen Teil schlecht bis unbrauchbar. Doch die größenwahnsinnigen Charaktermasken des chinesischen Staatskapitalismus konnten und wollten natürlich nicht so schnell zugeben, dass ihre massenmörderische Aufholungsjagt an der Produktionsfront grandios gescheitert war. Zwar wurden nach und nach die Planziffern nach unten korrigiert, aber grundsätzlich wurde am „Großen Sprung“ festgehalten. Die staatskapitalistische Bürokratie ging dazu über, die Lebensmittel zu rationieren, die industriellen Belegschaften zu reduzieren und die Kreditvergabe zu verringern.
Vor allem war die „K“PCh gezwungen bei der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in den „Volkskommunen“ zurück zu rudern. Vor allem auf Grund des bäuerlichen Widerstandes. BäuerInnenaufstände hatten sich besonders in den Monaten November und Dezember 1958 in den Provinzen Sen-Tcholan, Honan, Ho-Pe, Kann-Sou, Kiang-Si und Kouang-Foung entwickelt, also nach der Bildung der „Volkskommunen“, aber vor dem eigentlichen Beginn des massenmörderischen „Großen Sprung nach vorn“. Die BäuerInnen hatten nach der Überausbeutung durch die staatskapitalistische Bürokratie und der von dieser verursachten Hungersnot nicht mehr die Kraft, zum offenen Aufstand überzugehen, aber die „K“PCh spürte, dass sie den Bogen überspannt hatte, auch wenn sie erst im Januar 1961 zugab, dass der „Große Sprung“ gescheitert war. Bereits 1960 wurden die Volkskommunen stark dezentralisiert. Auch private Parzellen der BäuerInnen neben der Kollektivwirtschaft wurden wieder erlaubt. Durch die wieder legalisierte private Haltung von Schweinen und Geflügel und deren Verkauf auf den Dorfmärkten entwickelten sich bereits in den 1960er Jahren schwache Ansätze einer kleinbäuerlich-individualistischen Warenproduktion.
Wobei allerdings die kleinbäuerlich-kollektive Warenproduktion in den Volkskommunen überwog. Der kleinbürgerliche Demokrat Fritjof Meyer schrieb über diese Mitte der 1970er Jahre: „Dabei sind die Fabrikarbeiter gegenüber den Bauern noch privilegiert, sie erhalten fixe Löhne, während die Bauern nur am wechselhaften Gewinn ihrer Volkskommune bzw. Produktionsbrigade beteiligt sind und zu einem großen Teil noch in Naturalien entlohnt werden. Die Arbeiter verdienen im Schnitt doppelt so viel wie die Bauern. Und die brauchen für ihre eigene Krankenversorgung nichts aufzuwenden. Anders die Bauern. Ihre Landflucht ist durch rigorose Zuzugsgenehmigung für die Städte gestoppt, während Arbeiter und Schüler planmäßig aufs Land ausgesiedelt werden.“ (Fritjof Meyer, Wessen Diktatur in China?, a.a.O., S. 26.)

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