Neue Broschüre: Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution mit einem Nachwort

Wir veröffentlichen eine bedeutende Schrift von Otto Rühle „Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution“ aus dem Jahre 1924 mit einem Nachwort von Nelke. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung

Otto Rühle, Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution (1924)
Vorwort
I. Die bürgerlichen Revolutionen
II. Das russische Problem
III. Der bürgerlich-kapitalistische Staat
IV. Parlament und Parteien
V. Die Gewerkschaften
VI. Die letzte Phase des europäischen Kapitalismus
VII. Betriebsorganisation und Arbeiter-Union
VIII. Das Rätesystem
IX. Die proletarische Revolution

Nelke, Zu Rühles Schrift „Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution“
1. Die europäische revolutionäre Nachkriegskrise (1917-1923)
2. Otto Rühle – Wege und Irrwege eines revolutionären Intellektuellen
3. Die Bedeutung von Rühles Schrift
4. Fehler und Inkonsequenzen
5. Die weitere Entwicklung des Rätekommunismus
6. Der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus

Die Gewerkschaften

Was über Parteien, Parteiführer und Parteitaktik gesagt ist, trifft in erhöhtem Maße auch auf die Gewerkschaften zu. Ja, sie repräsentieren die typisch kleinbürgerliche Taktik des Kompromisses umso viel mehr, als ihre eigene Existenz ein Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital darstellt. Niemals haben Gewerkschaften als ihr Ziel und ihre Aufgabe die Beseitigung des Kapitalismus proklamiert; niemals haben sie sich praktisch irgendwie dafür eingesetzt. Von Anfang an haben die Gewerkschaften mit der Existenz des Kapitalismus als einer gegebenen Tatsache gerechnet. Und von dieser Gegebenheit aus sind sie dafür eingetreten im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung dem Proletarier bessere Lohn- und- Arbeitsverhältnisse zu erkämpfen. Also keine Abschaffung des Lohnsystems, keine grundsätzliche Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaft, kein Kampf gegen das Ganze. Das sei, so sagten die Gewerkschaften mit bürgerlicher Logik, Sache der politischen Partei. Darum erklärten sie sich für unpolitisch, pochten auf ihre Neutralität, lehnten jede Parteiverpflichtung ab. Ihre Rolle war die eines Ausgleichs, einer Vermittlung, einer Kur an Symptomen, einer Verabreichung von Palliativmitteln. Sie waren von Haus aus ihrer ganzen Grundeinstellung nach nicht nur unpolitisch, sondern auch unrevolutionär; sie waren reformistische, opportunistische, kompromisslerische Hilfsorgane zwischen Bourgeoisie und Proletariat.
Die Gewerkschaften gingen aus den Gesellenverbänden der alten Handwerksinnungen hervor. Mit dem Geiste der modernen Arbeiterbewegung wurden sie gefüllt, als der Kapitalismus durch die große Krise der sechziger Jahre dem Proletariat die Tücken -und Schrecken seines Systems mit besonderer Härte zum Bewusstsein brachte. Unter diesem ökonomischen Drucke, der die Arbeiterbewegung in ganz Europa mächtig anschwellen ließ, kam der von Schweitzer und Fritzsche einberufene erste Gewerkschaftskongress 1868 zustande. Fritzsche charakterisierte die gewerkschaftliche Organisation und ihre Gelegenheiten sehr treffend, als er erklärte, „dass die Streiks kein Mittel seien, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise zu ändern, wohl aber ein Mittel, das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu fördern, die Polizeibevormundung zu durchbrechen und einzelne soziale Missstände drückender Art, wie übermäßig lange Arbeitszeit und Sonntagsarbeit, aus der heutigen Gesellschaft zu entfernen“. In der Folgezeit hat dann auch die Tätigkeit der Gewerkschaften darin bestanden, das Proletariat aufzurütteln, zum Zusammenschluss zu bewegen, für den Gedanken des Klassenkampfes zu gewinnen, es gegen die schlimmsten Härten der kapitalistischen Ausbeutung zu schützen und ihm nach Möglichkeit aus dem Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit je nach Konjunktur größere oder kleinere Augenblicksvorteile herauszuholen. Der Unternehmer, ehedem allmächtiger Herr im Hause, hatte bald die straff zentralisierte Macht der Organisation gegen sich. Und die Arbeiterschaft, durch den Zusammenschluss im Bewusstsein ihres Wertes für den Produktionsprozess gehoben und von Streik zu Streik, von Konflikt zu Konflikt in der Entfaltung ihrer Kampfesenergie geschult, stellte bald einen Faktor dar, mit dem der Kapitalismus bei allen Profitkalkulationen ernstlich rechnen musste.
Niemals kann im Ernst daran gedacht werden, den großen Wert zu leugnen, den die Gewerkschaften als Kampfmittel bei der Verfechtung von Arbeiterinteressen für das Proletariat gehabt haben; niemand wird wagen können, die außerordentlichen Verdienste zu schmälern oder zu bestreiten, die sich die Gewerkschaften bei der Verfechtung dieser Interessen erworben haben. Aber alles dies sind heute leider Zeugnisse und Ruhmestitel, die der Vergangenheit angehören.
Im Kampfe zwischen Kapital und Arbeit haben auch die Unternehmer sehr bald den Wert der Organisation erkannt. Um den Arbeiterverbänden die Spitze bieten zu können, haben sie sich selbst zu kraftvollen, zunächst die Berufskategorie oder Branche umfassenden Verbänden zusammengeschlossen. Und da sie über reichere Mittel verfügten, den Schutz und die Förderung der Behörden auf Ihrer Seite hatten, die Gesetzgebung und Rechtsprechung zu beeinflussen verstanden und solchen Unternehmern, die ihre Klasseninteressen nicht rasch genug begriffen und deshalb der Organisation nicht das erforderliche Interesse abgewannen, mit den stärksten Mitteln des Terrors, der Drangsalierung und Ächtung zu Leibe gingen, waren ihre Organisationen bald stärker, leistungsfähiger und mächtiger als die der Arbeiter. Die Gewerkschaften sahen sich durch die Unternehmerverbände aus der Offensive in die Defensive verdrängt. Die Kämpfe nahmen an Heftigkeit, Erbitterung und Druck zu, waren immer seltener erfolgreich, hatten meist eine große Erschöpfung der Zentralkasse zur Folge und nötigten dadurch zu immer längeren Ruhe- und Erholungspausen zwischen den Kämpfen. Schließlich erkannte man, dass die halben und fraglichen Erfolge meist zu teuer erkauft waren, dass man die Kompromisse, die bestenfalls aus den Kraftproben heraussprangen, billiger hätte haben können, wenn man von vornherein mehr zu einer Verständigung bereit gewesen wäre. So ging man an die weiteren Kämpfe heran mit reduzierten Forderungen, mit Bereitschaft zu Verhandlungen, mit der Absicht zu einem Kuhhandel. Anstatt gegeneinander anzukämpfen, suchte man sich gegenseitig zu überlisten. Es galt nicht mehr als Makel oder Schwäche, Verhandlungen anzubieten. Man war auf den Kompromiss eingestellt. Der Vergleich — nicht der Sieg — bildete in der Regel den Abschluss von Lohnbewegungen oder Arbeitszeitkonflikten. So vollzog sich mit der Zeit auf der ganzen Linie eine Änderung der Taktik, der Kampfmethode.
Die Tarifpolitik kam auf. Auf der Grundlage von Verabredungen und Vereinbarungen wurden Tarifverträge abgeschlossen, in denen die Arbeitsbedingungen ihre paragraphische Regelung fanden. Die Tarife galten für die ganze Organisation der Branche beiderseits und für kürzere oder längere Zeit. Sie stellten in Gestalt eines Kompromisses eine Art Waffenstillstand auf Kündigung dar. Der Unternehmer gewann durch den Abschluss von Tarifverträgen bedeutsame Vorteile: er konnte sichere Geschäftskalkulationen für die Dauer des Vertrages aufstellen, konnte auf Einhaltung der Vertragsbestimmungen bei bürgerlichen Gerichten klagen, konnte mit einer gewissen Stabilität seiner Geschäftsführung und Profitquote rechnen, konnte vor allen Dingen in größter Ruhe jahrelang seine Kräfte konzentrieren für einen umso stärkeren Druck auf die Arbeiterschaft beim Abschluss des nächsten Tarifvertrages. Im Gegensatz zum Unternehmer hatte der Arbeiter vom Tarifvertrag nur Nachteile: er konnte, an den Vertrag auf lange Zeit gebunden, aufkommende günstige Konjunkturen nicht zu Verbesserungen seiner Lage ausnutzen, wurde in seinem Klassenbewusstsein und Kampfwillen mit der Länge der Zeit eingeschläfert und zur Inaktivität erzogen, geriet damit immer mehr in die für den Klassenkampf verderbliche Atmosphäre der „Harmonie zwischen Kapital und Arbeit“ und „Gemeinsamkeit der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, verfiel so ganz und gar dem kleinbürgerlich hoffnungslosen Opportunismus, der von der Hand in den Mund lebt und selbst die größtmöglichen Reformen und „positiven Errungenschaften“ je länger je mehr fragwürdig und wertlos macht, und wurde zuletzt völlig das betrogene Opfer einer engstirnigen, beschränkten und oft gewissenlosen Beamten- und Führerclique, deren Hauptinteresse schon längst nicht mehr dem Wohl des Arbeiters, sondern der Befestigung ihres Versorgungspostens gehört. In der Tat schlief mit dem Überhandnehmen der Tarifpolitik die Anteilnahme des Arbeiters am Gewerkschaftsleben immer mehr ein; die Versammlungen waren schlecht besucht, die Beteiligung bei Wahlen ging stark zurück, die Beiträge mussten fast gewaltsam eingetrieben werden, der Terror in den Betrieben nahm ebenso überhand wie die Bürokratisierung des Verwaltungsapparates, beides Mittel um den Bestand der Organisation, die Selbstzweck geworden war, um jeden Preis zu erhalten. Die Schaffung von Reichstarifen für große Arbeitskategorien bewirkte noch mehr die Steigerung des Zentralismus und der Beamtengewalt, zugleich aber auch immer größere Ablösung der Führer von den Massen, größere Entfremdung der Organisation von ihrem ursprünglichen Kampfcharakter und Kampfziel und größere Degradation der Arbeiter zu bedeutungs- und willenlosen, lediglich beitragszahlenden und Beschlüsse ausführenden Marionetten in den Händen der Verbandsbürokratie.
Dazu kam noch ein Moment. Um den Arbeiter mit all seinen Interessen, die seiner permanenten Lebensnotlage entspringen, an die Organisation zu fesseln, haben die Gewerkschaften ein umfangreiches und verzweigtes Unterstützungssystem eingerichtet, das eine Art praktische Sozialpolitik betreibt. Wie es scheint, zum Nutzen des Arbeiters, sicher auf dessen Kosten. Da gibt es Kranken-, Sterbe-, Arbeitslosen, Umzugs- und Reise-Unterstützungskassen, einen ganzen Apparat sozialer Fürsorge mit Pflästerchen, Pülverchen und allerlei Linderungsmittelchen für das proletarische Elend. Der Arbeiter steuert und klebt, zahlt Beiträge über Beiträge, wird an der Leistungsfähigkeit der Verbandskasse interessiert und wartet auf die Gelegenheit, wo er ihre Hilfe in Anspruch nehmen kann. Anstatt an den großen Kampf zu denken, verliert er sich in Rechnungen mit kleinen Pfennigen. Er wird in seiner kleinbürgerlichen Denkweise bestärkt und erhalten; bleibt zum Nachteil seiner proletarischen Emanzipation stecken in den Befangenheiten und Engherzigkeiten kleinbürgerlicher Lebensauffassung, die bei jeder Leistung nach der Gegenleistung fragt; gewöhnt sich, den Wert der Organisation zu sehen in den zufälligen und dürftigen materiellen Augenblicksvorteilen, anstatt den Blick auf das große, freigewollte und selbstlos verfochtene Ziel der Befreiung seiner Klasse gerichtet zu halten. Damit wird der Klassenkampfcharakter der Organisation planvoll untergraben und das Klassenbewusstsein der Proletarier unwiederbringlich zerstört oder verwüstet. Obendrein werden dem atmen Teufel die Kosten einer sozialen Fürsorge und Wohlfahrtspflege aufgepackt, die im Grunde der Staat aus den Mitteln der Gesamtgesellschaft unter Schonung der Wirtschaftsschwachen zu bestreiten hätte.
So sind die Gewerkschaften mit der Zeit Organe kleinbürgerlicher Sozialquacksalberei geworden, deren Wert für den Arbeiter in dem Maße auf Nichts zusammengeschrumpft ist, in dem unter dem Drucke der Geldentwertung und Wirtschaftsmisere die Leistungsfähigkeit aller Wohlfahrtskassen auf Null gesunken ist. Aber mehr als dies: die Gewerkschaften haben sich, in konsequenter Weiterbildung ihrer Tendenz zur Interessengemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit, zu Hilfsorganen des bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsinteresses, also der Ausbeutung und Profitmacherei, entwickelt. Sie sind die treuesten Schildhalter der bürgerlichen Klasse, die zuverlässigste Schutztruppe des kapitalistischen Geldsacks geworden. Bei Ausbruch des Krieges traten sie, ohne eine Minute zu zögern, für die nationale Verteidigungspflicht ein, machten die bürgerliche Kriegspolitik zu der ihrigen, anerkannten den Burgfrieden, zeichneten Kriegsanleihe, predigten das Durchhaltegebot, halfen das Hilfsdienstgesetz schaffen und hielten jede sabotierende oder revoltierende Bewegung in der Waffen- und Munitionsindustrie krampfhaft nieder. Bei Ausbruch der November-Revolution deckten sie die kaiserliche Regierung, warfen sich den revolutionären Massen entgegen, verbanden sich mit dem Großunternehmertum zu einer Arbeitsgemeinschaft, ließen sich mit Ämtern, Würden und Einkünften in der Industrie oder im Staate bestechen, knüppelten im Verein mit Polizei und Militär alle Streiks und Aufstände nieder und verrieten so schamlos und brutal die Lebensinteressen des Proletariats an dessen verschworene Feinde. Beim Aufbau des Kapitalismus nach dem Kriege, bei der erneuten Versklavung der Massen durch das vertrustete, international versippte Kapital, bei der Stinnesierung der deutschen Wirtschaft, beim Kampfe um Oberschlesien und Ruhrgebiet, beim Abbau des Achtstundentags, der Demobilisations-Verordnungen, der Zwangswirtschaft, bei der Beseitigung der Arbeiterräte, der Betriebskomitees, Kontroll-Ausschüsse, usw., beim Terror gegen Syndikalisten, Unionisten, Anarchisten — immer und überall standen sie als die zu jeder Gemeinheit und Schandtat bereite Prätorianergarde dem Kapital hilfreich zu Seite. Immer gegen die Interessen des Proletariats, gegen die Fortschritte der Revolution, die Befreiung und Verselbständigung der arbeitenden Klasse, verbrauchten und verbrauchen sie den übergroßen Teil aller Kasseneinkünfte zur Sicherung und materiellen Versorgung ihrer Bonzen- und Schmarotzer-Existenz, die — wie sie nur zu gut wissen — steht und fällt mit der Existenz der Gewerkschaftsorganisation, die sie aus einer Waffe für die Arbeiter in eine Waffe gegen die Arbeiter umgefälscht haben. Diese Gewerkschaften revolutionieren zu wollen, ist ein lächerliches, weil ganz undurchführbares und aussichtsloses Beginnen. Diese „Revolutionierung“ läuft entweder auf einen simplen Personenwechsel hinaus, der am System absolut nichts ändert, sondern höchstens den Pestherd verbreitert, oder aber sie muss darin bestehen, dass man den Gewerkschaften den Zentralismus, die Tarifpolitik, das Berufsführertum, die Unterstützungskassen, den Kompromissgeist fortnimmt — was bleibt dann übrig? Ein hohles Nichts!
Solange die Gewerkschaften noch bestehen, werden sie bleiben was sie sind: die echtesten und tüchtigsten aller Weißen Garden des Unternehmertums denen besonders das deutsche Kapital zu größerem Danke verpflichtet ist als allen Noske- und Hitlergarden zusammengenommen.
Solche gemeinschädliche, arbeiterfeindliche kontrerevolutionäre Institutionen können nur zerstört, vernichtet, ausgerottet werden.

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