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Der spanische BürgerInnenkrieg als innerkapitalistischer Konflikt

Zum 80. Jahrestag des Beginns des spanischen BürgerInnenkrieges veröffentlichen wir den ersten einer ganzen Reihe von Texten. Dies geschieht unter der gemeinsamen Überschrift „Der spanische BürgerInnenkrieg als innerkapitalistischer Konflikt“. Im ersten Text wird die Entstehung und Entwicklung des spanischen Kapitalismus beschrieben. Die Broschüre „Der spanische BürgerInnenkrieg (1936-1939)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Streikende Arbeiter bauen bei Unruhen in Valencia im Frühjahr 1932 mit Hilfe eines Straßenbahnwagens eine Barrikade

Der spanische Kapitalismus

Um den spanischen BürgerInnenkrieg zwischen 1936 und 1939 zu verstehen, muss mensch sich mit der Entwicklung des spanischen Kapitalismus bis zum „Ausbruch“ dieses innerkapitalistischen Konfliktes beschäftigen. Da sich die Entwicklung des spanischen Nationalkapitals nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen des Weltkapitalismus vollzog, werden wir diese Wechselbeziehung im Auge behalten. Für SozialrevolutionärInnen ist das Kapital in erster Linie ein soziales Verhältnis zwischen Bourgeoisie (mehr oder weniger verbürgerlichte GroßgrundbesitzerInnen, KapitalistInnen, hohe WirtschaftsmanagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen sowie hohe zivile und militärische StaatsbeamtInnen) und Proletariat (die lohnabhängige ArbeiterInnenklasse und die nichtlohnarbeitenden eigentumslosen Schichten), mit dem KleinbürgerInnentum (KleinbäuerInnen, HandwerkerInnen und KleinhändlerInnen als klassisches besitzendes KleinbürgerInnentum mit Privateigentum an Produktionsmitteln, durch Stellung und Bildung privilegiertes lohnabhängiges KleinbürgerInnentum [IngenieurInnen, PolizistInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen…] sowie kleine BerufspolitikerInnen bzw. solchen von Strömungen, die noch nicht vollständig von der Bourgeoisie anerkannt sind) als Puffer. Wir geben also unseren Kurzeinblick in den spanischen Kapitalismus als eine Erzählung von Klassenkämpfen. Genau wie die sozialökonomische Entwicklung des spanischen Nationalkapitals nur in seiner Wechselwirkung mit den anderen Nationakapitalen – die zusammen das Weltkapital bilden – zu verstehen ist, ist die Entwicklung des Proletariats und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung in Spanien nur im Verhältnis zum Weltproletariat und der internationalen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung zu begreifen. Wir erzählen also die Geschichte des spanischen Proletariats als die eines Teiles des Weltproletariats.
Spanien gab durch die europäische „Entdeckung“ und Kolonialisierung Amerikas ab dem Ende des 15. Jahrhunderts sehr viel mehr Impulse für die Entwicklung des modernen Weltkapitalismus, als die spanische Bourgeoisie für sich selbst einheimsen konnte. Durch die großen europäischen „Entdeckungen“ – mit Spanien als ihrer großen Pionierin – wurden äußere Bedingungen für das Wachstum des kontinentalen Handels- und Finanzkapitals geschaffen. Die Produktion war zu dieser Zeit noch nicht kapitalistisch, sondern feudal-bäuerlich in der Landwirtschaft und kleinbürgerlich in den Städten. Doch die kleinbürgerlich produzierten Waren wurden durch das Handelskapital auf fernen Märkten vertrieben. Durch die koloniale Ausplünderung Amerikas gelangten durch die Handelsbourgeoisie auch amerikanische Produkte auf europäische Märkte. Doch Spanien als Beherrscherin Südamerikas machte nicht die glänzende kapitalistische Karriere durch wie die Niederlanden als ehemalige spanische Kolonie und erste Handelsnation oder Großbritannien als erste Industrienation durch. Das lässt sich nur dadurch erklären, dass durch eine Kombination aus inneren und äußeren Faktoren der Kapitalismus in Spanien geringer entwickelt war als in den Niederlanden oder in Großbritannien.
Ein wichtiger Faktor der kapitalistischen Entwicklung – zuerst im Rahmen des Feudalismus und dann diesen Rahmen sprengend – war die Eroberung der Staatsmacht durch die Bourgeoisie, wodurch die Politik zur bürgerlichen Politik wurde. Eine Übergangsform der feudalen – noch stark regional zersplitterten – Staatlichkeit zum modernen bürgerlichen Nationalstaat stellte der Absolutismus dar. Die regionale und provinzielle Adelsmacht wurde durch den Absolutismus zugunsten einer zentralen Macht der MonarchInnen enorm eingeschränkt. Dieser Zentralismus war eine wichtige Vorform des modernen bürgerlichen Nationalstaates, der selbstverständlich von Anfang an als Machtapparat der Bourgeoisie sozialreaktionär war. Doch die absolute Machtanmaßung der MonarchInnen richtete sich nicht nur gegen den alten Adel sondern auch gegen die aufstrebende Bourgeoisie, deshalb musste der Absolutismus als Zwischenstufe zwischen Feudalismus und Kapitalismus überwunden werden – durch bürgerliche Staatsformen wie konstitutionelle (also eine parlamentarisch kontrollierte) Monarchie, demokratische Republik oder Militärdiktatur. Die ersten bürgerlichen Staatsformen eroberten sich die holländische und die englische Bourgeoisie, wodurch sie die politischen Bedingungen für die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus schufen.
Durch die Avantgardestellung Spaniens in der europäischen und globalen Politik ab Ende des 15. Jahrhunderts stärkte sich auch das Handelskapital in Spanien, doch konnte die spanische Bourgeoisie kein eigenes nationales und zugleich europaweites Handels- und Finanzzentrum hervorbringen. Die Edelmetalle, die der spanische Kolonialismus aus Südamerika herauspresste, waren die Tauschmittel für Handelswaren, die über Antwerpen – das Zentrum Europas während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – zirkulierten. Auch blieb Spanien trotz der amerikanischen Edelmetalle von großen ausländischen Geldhäusern als Kreditinstituten wie den Fuggern aus Augsburg abhängig. Die Nachfolgerin Antwerpens als europäisches Zentrum ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Genua, war auch der Mittelpunkt des Handels und des Kredites. Ab 1627 wurde die holländische Metropole Amsterdam das europäische Handels- und Finanzzentrum. Ab ca. 1700 verlor Amsterdam seine Bedeutung als europäisches Handelszentrum an London, was Ausdruck und Bedingung der Entwicklung des englischen Handelskapitals war. Ende des 18. Jahrhunderts büßte Amsterdam auch den Status des europäischen Zentrums des Finanzkapitals gegenüber der englischen Hauptstadt London ein. Dass es der spanischen Bourgeoisie nicht gelang im eigenen Land während seiner Blütezeit ein nationales und zugleich kontinentales Handels- und Finanzzentrum zu schaffen, war ein Faktor der relativen Schwäche des spanischen Nationalkapitals.
Dadurch, dass sich die spanische Bourgeoisie kein bedeutendes nationales und europaweites Handels- und Finanzzentrum schaffen konnte, blieb die feudal-monarchistische Reaktion relativ stärker als die bürgerlich-kapitalistische Sozialreaktion. Schon die relativ starke englische Bourgeoisie lavierte im 17. Jahrhundert zwischen der monarchistischen Reaktion und der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Straßenbewegung als sozialer Triebfeder der antimonarchistischen Revolution. Doch brachte die englische Bourgeoise unter Cromwell einen relativ konsequenten antimonarchistischen Flügel hervor, unter dessen politischer Herrschaft England auch kurzzeitig Republik wurde. Die politische Machteroberung der bürgerlichen Republikaner war der Höhepunkt der antimonarchistischen Revolution und zugleich der Umschlagmoment in die bürgerliche Konterrevolution gegen die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Straßenbewegung (Levellers und Diggers), gegen die sich Cromwell ebenfalls mit blutiger Konsequenz wendete (siehe zur antiabsolutistischen Revolution in England: Nelke, Antinationale Schriften I, Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2014, S. 12-15).
Besonders die katholische Kirche Spaniens entwickelte sich zu einem Hort der feudal-monarchistischen Reaktion. Der kirchliche Repressionsapparat, die Inquisition, war in Spanien besonders mächtig und brutal. Sie sah in der Ausplünderung des spanischen BürgerInnentums ihre Haupteinnahmequelle. So gab es im frühen 16. Jahrhundert, 1520, zwar einen Aufstand der bürgerlichen Städte gegen die Monarchie, doch dieser wurde 1521 in der Schlacht bei Villalar von der monarchistischen Reaktion erfolgreich besiegt, weil ein Teil der Städte passiv geblieben war. Der relativ schwachen spanischen Bourgeoise gelang es nicht, wie der holländischen im nationalreaktionären Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien sich im 16. Jahrhundert oder wie die englische im 17. Jahrhundert die politische Macht zu erkämpfen. Dadurch wurde der spanische Kapitalismus von der inneren feudal-monarchistischen Reaktion und der ausländischen kapitalistischen Konkurrenz in seiner weiteren Entwicklung behindert. Auch konnte sich in Spanien die handelskapitalistische Zentralisierung nicht absolut gegen die feudale Zersplitterung durchsetzen. Die Folge davon war, dass der spanische Nationalismus sich bis auf dem heutigen Tag nur schwer gegen Unternationalismen wie den baskischen und den katalonischen, die natürlich nicht weniger sozialreaktionär wie der spanische sind, durchsetzen kann. Doch ein schwacher Nationalstaat bleibt in der Konkurrenz mit anderen zurück.
Besonders die staatlich geförderte englische Seeräuberei, die dem spanischen Kolonialismus keinen geringen Teil der amerikanischen Beute wieder abnahm, machte dem spanischen Handelskapital im 16. Jahrhundert das Leben schwer. 1588 siegte England über die spanische Armada, damit ging die Seeherrschaft Spaniens unwiderruflich verloren. In den Jahren von 1581 bis 1621 trennten sich die handelskapitalistischen Niederlanden durch ihren nationalreaktionären Unabhängigkeitskrieg von Spanien. 1820 verlor Spanien endgültig die koloniale Kontrolle über Südamerika. Der aufstrebende US-Imperialismus versetzte Spanien 1898 einen schweren Schlag, indem der erstere die einstigen spanischen Kolonien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen in sein Einflussgebiet brachte. Spanien versuchte dann in Marokko den Status einer Kolonialmacht zu behalten. Die Eroberung und Unterwerfung Marokkos dauerte von 1912 bis 1926 und schwächten Spanien sozialökonomisch. Spanien war also in den innerimperialistischen Konflikten seit dem Ende des 16. Jahrhundert eher Amboss als Hammer. Wegen der schwachen industriekapitalistischen Basis konnte sich Spanien gegen über andere, höher entwickelte kapitalistische Nationen nicht durchsetzen und weil Spanien sich nicht gegenüber der bürgerlichen Staatenkonkurrenz durchsetzen konnte, blieb die industriekapitalistische Basis schwach.
Aber nur durch die forcierte Entwicklung des Industriekapitalismus und seiner beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat konnte die Dominanz der halbfeudalen Landwirtschaft gebrochen und die Monarchie mit der katholischen Kirche und den Offizierskorps als deren sozialen Hauptstützen überwunden werden. Bürgerliche RepublikanerInnen agierten in Spanien ohne starke industriekapitalistische Basis recht hilflos. In der antimonarchistischen Revolution von 1868, die durch einen Militärputsch ausgelöst und durch städtische Schichten getragen wurde, emigrierte Königin Isabella II. nach Frankreich und eine Koalition aus Generälen und Republikanern übernahm die politische Macht. Doch die Mehrheit im spanischen Parlament aus Liberalen und Monarchisten reproduzierte die politische Herrschaftsform der Monarchie. So wurde dem König von Aosta, Amadeo von Savoyen, einem Sohn des italienischen Regenten Victor Emanuel II., der spanische Thron angeboten. Unter dessen Herrschaft verschärften sich die sozialen Konflikte in Spanien weiter. Es wurden massenhaft die Ländereien der GroßgrundbesitzerInnen besetzt und auch das entstehende Proletariat erhob seine sozialen Forderungen. Darauf hatte der Monarch keinen Bock und so verzichtete er im Januar 1873 auf den spanischen Thron, woraufhin das spanische Parlament am 11. Februar die Erste Republik ausrief.
Doch diese Erste Republik, die selbstverständlich wie jede Staatsform grundsätzlich sozialreaktionär war, wurde im Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie sowie der monarchistischen Konterrevolution zerrieben. Nach parlamentarischen Wahlen, bei denen die bürgerlichen Republikaner 90 Prozent aller Stimmen erzielten, wurde dessen Vertreter Pi y Margall Regierungschef. Doch unter proletarisch-klassenkämpferischen und monarchistisch-sozialreaktionären Druck geratend, trat er am 18. Juli 1873 zurück. Seine Nachfolger setzten noch stärker auf die militärische Niederschlagung des bäuerlichen und proletarischen sozialen Widerstandes. Anfang 1874 löste das Militär das spanische Parlament, die Cordes, auf. Unter der provisorischen Militärdiktatur von General Serrano wurde im Dezember 1874 die Monarchie wieder restauriert. Der Sohn von Isabella II., Alfons XII., wurde neuer König von Spanien.
Die Hauptentwicklungsphase der spanischen Industrie währte zwischen 1898 und 1918, also zwischen dem spanisch-amerikanischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg. Während des letzteren blieb Spanien neutral. Die spanische Ökonomie nahm durch Agrarexporte an die kriegführenden Staaten einen Aufschwung. Die durch diese Exporte eingenommenen Devisen wurden vom spanischen Nationalkapital dazu genutzt, um die industrielle Entwicklung zu finanzieren. Der Industriekapitalismus entwickelte sich vor allem in der Hauptstadt Kataloniens Barcelona, sowie in Santander und in Bilbao an der nordbaskischen Küste. Dadurch wurde auch das Industrieproletariat sozial gestärkt.
Auch die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung entwickelte sich mit dem Kapitalismus in Spanien. Sie war in einen parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Flügel gespalten. 1879 wurde die in der Praxis parlamentarisch-sozialreformistische und in der Ideologie marxistisch-revolutionäre Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) gegründet. 1913 zählte diese typisch sozialdemokratische Partei etwa 12.000 Mitglieder und hatte gewählte ParlamentarierInnen in knapp 40 Gemeinde- bzw. Stadträten und Provinzräten. 1888 wurde die sozialistische Gewerkschaft Union General de Trabajadores (UGT) gegründet. In Konkurrenz zum Parteimarxismus entwickelte sich in Spanien recht erfolgreich die anarchistische Gewerkschaftsbewegung, der Anarchosyndikalismus. Dieser schuf sich im Jahre 1911 den Gewerkschaftsbund Confederación Nacional del Trabajo (CNT) seinen institutionellen Ausdruck. Sowohl die UGT als auch die CNT hatten in den 1920er Jahren jeweils mehr als 1 Millionen Mitglieder. 1927 wurde auch der militante Flügel der CNT, die Federación Anarquista Ibérica (FAI) gebildet, die sich gegenüber der CNT oft als Gralshüterin der reinen anarchistischen Lehre aufspielte. Aber auch die FAI wurde wie CNT, UGT, PSOE, sowie die partei-„kommunistischen“ Formationen P„C“E und POUM während des BürgerInnenkrieges zu einer politischen Charaktermaske des Kapitals…
Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung war in Spanien wie international der bürokratisch und ideologisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats. Als reproduktiven Klassenkampf bezeichnen wir einen solchen, den das Proletariat im Rahmen des Kapitalismus für eine verbesserte Lebenslage führt. Dieser Klassenkampf hat sowohl seine revolutionären als auch seine konservativen und sogar reaktionären Momente. Die revolutionärste Tendenz ist, dass sich in ihm die ProletarierInnen nicht einfach der Diktatur von Kapital und Staat unterwerfen, sondern selbstbewusst für ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse kämpfen. Auch kommt es im Verlauf des Klassenkampfes dazu, dass das Proletariat in der Praxis das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln und die staatlichen Gesetze missachtet. Die objektiv konservative Seite des reproduktiven Klassenkampfes ist, dass er den Rahmen des Kapitalismus nicht sprengen kann. Dazu sind die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats und die Herausbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft notwendig. Doch der reproduktive Klassenkampf ist eine notwendige praktische Schule für die mögliche soziale Revolution. Fast alles an sozialrevolutionärer Theorie ist verallgemeinerte Praxis des reproduktiven und revolutionären Klassenkampfes.
Der reproduktive Klassenkampf brachte und bringt Gewerkschaften und so genannte „ArbeiterInnenparteien“ als institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung hervor. Diese waren und sind mehr oder weniger ein Ausdruck der bürgerlichen Klassengesellschaft. Sie waren und sind gespalten in bürgerlich-bürokratische Partei- und Gewerkschaftsapparate und die proletarische Basis. Weil die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Parteien und Gewerkschaften) die Klassengesellschaft reproduzierte und reproduziert, ist sie unfähig den Kapitalismus zu überwinden, auch wenn sich einige „marxistische“ Parteien oder „anarchistische“ Gewerkschaften sich dies ideologisch zum Ziel stellen. Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus betrügen sich mit dieser Ideologie nur selbst und das Proletariat. Das ist die wichtigste Lehre, die SozialrevolutionärInnen in der bisherigen Schule des Klassenkampfes lernen konnten.
Auch der Klassenfeind, die Bourgeoisie, lernte und lernt in dieser harten Schule. Zu Beginn ging die herrschende kapitalistische Klasse global total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Doch nach und nach lernten immer größere Teile der Weltbourgeoisie, dass es effektiver ist, den Klassenkampf teilweise zu legalisieren und in geordnete Bahnen zu lenken. Dadurch sollte dem Klassenkampf die revolutionäre Spitze gebrochen werden. So wich die Repression gegen Gewerkschaften und „ArbeiterInnenparteien“ deren Integration in die Nationalkapitale. Sozialdemokratische und „kommunistische“ „ArbeiterInnenparteien“ wurden in hochentwickelten kapitalistischen Staaten in den herrschenden Parlamentarismus integriert. Die „ArbeiterInnenvertreterInnen“ waren und sind in Wirklichkeit nichts anderes als bürgerliche BerufspolitikerInnen, die wie alle PolitikerInnen vom politisch angeeigneten Mehrwert, den das Proletariat in der kapitalistischen Produktion herausgepresst wird, leben. Abgeordnetendiäten und Ministergehälter werden aus Steuern bezahlt – und Steuern sind nichts anderes als eine politische Form des Mehrwertes.
Im Verlauf der Integration in den Privatkapitalismus wurde der Marxismus zuerst zu einer Ideologie der Sozialdemokratie, die zu ihrer reformistischen und schließlich konterrevolutionären Rolle nicht wirklich passte, und dann zur Ideologie des Partei-„Kommunismus“, der sozialhistorisch nichts anderes war und ist als der radikale Flügel der Sozialdemokratie. Zuerst in Sowjetrussland, dann in anderen Ländern Osteuropas und im Trikont (Asien, Afrika und Lateinamerika) eroberte die „kommunistische“ Parteibürokratie die politische Staatsmacht und verstaatlichte die Wirtschaft. Doch die Verstaatlichung der Industriebetriebe war nur die Verstaatlichung des Kapitals, aber nicht deren Aufhebung. Die PrivatkapitalistInnen wurden zwar als Kern der Bourgeoisie entmachtet, aber die ArbeiterInnen mussten nun ihre Arbeitskraft an den Staat vermieten, der diese Arbeitskraft ausbeutete. Wir reden deshalb von Staatskapitalismus (siehe dazu: Nelke, Der sowjetische Staatskapitalismus und Imperialismus [1917-1991], Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2012). Die „kommunistische“ Partei- und Staatsbürokratie wurde zur herrschenden Klasse des Staatskapitalismus und der Marxismus zur Herrschaftsideologie. Westliche moskauhörige „Kommunistische“ Parteien waren nichts anderes als verlängerte Arme des sowjetischen Staatskapitalismus. Darunter befand sich auch die 1920 gegründete „Kommunistische“ Partei Spaniens (P„C“E).
Der Marxismus-Leninismus ist eine grundsätzlich sozialreaktionäre Ideologie, die sich auf die reaktionären Tendenzen von Marx/Engels stützt. Das waren die Anpassung an den demokratischen Parlamentarismus und die Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel. Doch der Marxismus-Leninismus war und ist zugleich der Totengräber der revolutionären Tendenzen des Marxismus: die Schaffung der Grundlagen einer materialistisch-dialektischen Weltbetrachtung und revolutionären Kapitalismuskritik. Der Parteimarxismus zeigte in den Jahren zwischen 1914 und 1921 seinen grundsätzlich konterrevolutionär-sozialreaktionären Charakter. 1914 unterstützten die meisten sozialdemokratischen Parteien ihre Nationalstaaten im imperialistischen Ersten Weltkrieg. In der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) half die Sozialdemokratie der Bourgeoisie dabei den proletarischen Klassenkampf mit Demagogie und Gewalt niederzuschlagen. Besonders die deutsche Sozialdemokratie war die Avantgarde der Konterrevolution. Dadurch wurde sie aus einer kleinbürgerlichen zu einer großbürgerlichen politischen Strömung. Der Bolschewismus unter Lenin und Trotzki eroberte in Russland die Staatsmacht und wurde dadurch aus einer kleinbürgerlich-radikalen zu einer staatskapitalistisch-konterrevolutionären Strömung. Das Lenin/Trotzki-Regime zerschlug die ArbeiterInnenräte (Sowjets) als Ausdruck des selbstorganisierten Klassenkampfes und metzelte im März 1921 den revolutionären Kronstädter Aufstand gegen den Staatskapitalismus nieder. Der Parteimarxismus ist grundsätzlich sozialreaktionär, weil er die Ideologie von Parteien ist und diese nichts anderes als der Ausdruck bürgerlicher Politik sein können. Parteien sind der politische Ausdruck der Kapitalvermehrung, Organe des Kampfes um die politische Staatsmacht. Doch diese politische Staatsmacht kann vom Proletariat nicht erobert, sondern muss von diesem zerschlagen werden.
Diese Erfahrungen des internationalen Klassenkampfes wurden vom ehemaligen radikalsten Flügel des Parteimarxismus reflektiert. Diese radikalen marxistischen ArbeiterInnen und Intellektuellen in Deutschland und Holland erkannten den konterrevolutionären Charakter von „ArbeiterInnen“-Parteien und Gewerkschaften und die Bedeutung des selbstorganisierten Klassenkampfes des Proletariats. Diese Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes waren während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise die ArbeiterInnenräte, weshalb sich diese radikalmarxistische Strömung Rätekommunismus nannte. Unser nachmarxistischer und nachanarchistischer Kommunismus knüpft besonders am Rätekommunismus und seiner radikalen Partei- und Gewerkschaftskritik an. Wir stützen uns auf die revolutionären Tendenzen von Marxismus und Anarchismus und bekämpfen konsequent die strukturell konterrevolutionären Ideologien Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus.
Der Anarchosyndikalismus zeigte besonders während des spanischen BürgerInnenkrieges seinen konterrevolutionären und sozialreaktionären Charakter. Und zwar als eine Gewerkschaftsideologie. Gewerkschaften waren und sind nichts anderes als der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes um bessere Arbeitsbedingungen im Kapitalismus. Im Verlauf des internationalen Lernprozesses der Bourgeoisie wurden die Gewerkschaften durch das Tarif- und Betriebsratssystem zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung. Durch das Tarifsystem bestimmen die Gewerkschaftsbürokratien die Lebensverhältnisse des Proletariats mit. Die hochbezahlten Bonzen müssen selbst nicht von den ausgehandelten Tarifen leben, für diese ist deshalb ihre „Tariffähigkeit“ wichtiger als die konkreten ausgehandelten Tarife. Während der Laufzeit eines Tarifvertrages herrscht in der Regel Friedenspflicht, die Gewerkschaftsbürokratie wird also durch das Aushandeln von Tarifverträgen zur Garantin einer weitgehend klassenkampffreien Zeit. Der Klassenkampf wird zur Tarifauseinandersetzung verniedlicht. Auch in Betriebsräten, die mehr oder weniger zur Sozialpartnerschaft verpflichtet sind, arbeiten die Gewerkschaftsbonzen konstruktiv mit der Bourgeoisie zusammen. Natürlich gibt es auch subjektiv ehrliche Gewerkschafts- und BetriebsratsaktivistInnen, doch sie reiben sich in diesem System auf, das von der Bourgeoisie und den Gewerkschaftsbürokratien grundsätzlich als lange Kette für das Proletariat geschmiedet wurde.
Wie verhielt und verhält sich der Anarchosyndikalismus zum Tarif- und Betriebsratssystem? Auf idealistische, sektiererische und reformistisch-opportunistische Art und Weise. Zuerst versuchten die AnarchosyndikalistInnen in Spanien künstlich eine „revolutionäre Gewerkschaft“ aufzubauen, die den reproduktiven Klassenkampf weitgehend ignorierte. Doch eine Gewerkschaft ist nun mal eine Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes. Wird eine Gewerkschaft zu einer Massenorganisation – und die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften waren in Spanien Massenorganisationen – muss sie auch einen reproduktiven Klassenkampf führen und die Anpassung an diesen reproduktiven Klassenkampf führt zur praktischen Anpassung an den Kapitalismus. Es ist unmöglich revolutionäre Massenorganisationen in nichtrevolutionären Zeiten aufzubauen. So wich die anfänglich sektiererische Haltung des spanischen Anarchosyndikalismus zum reproduktiven Klassenkampf einer immer stärkeren Anpassung des globalen „Anarcho“-Syndikalismus an das Tarif- und Betriebsratssystem der Bourgeoisie. Die konterrevolutionäre Logik der Gewerkschaftsorganisation ist stärker als die anarchosyndikalistische Ideologie-Produktion. Es reicht nicht aus als Alternative zu bürokratisch-sozialdemokratischen Gewerkschaften anarcholibertäre Basisgewerkschaften aufzubauen –die sich dann doch an Tarif- und Betriebsratssystem anpassen wie die heutige „anarcho“-reformistische FAU in Deutschland… Durch diesen sozialreformistischen Opportunismus, der sich im Einklang mit den allgemeinen Entwicklungstendenzen der Gewerkschaften befindet, werden innerhalb des „Anarcho“-Syndikalismus die revolutionären Tendenzen des Anarchismus – seine antipolitisch-staatsfeindlichen Tendenzen und auch die richtige Kritik am parlamentarisch-sozialreformistischen und bürokratisch-staatskapitalistischen Charakter des Parteimarxismus – in der Praxis ausgelöscht. Denn wer sich an das bürgerliche Tarifrecht anpasst, akzeptiert praktisch Lohnarbeit und Staat, auch wenn er sich in der Ideologie-Produktion noch so anarchistisch gebärdet. Doch eine wirkliche sozialrevolutionäre Strömung ist unmöglich, die nicht auch – neben den progressiven Tendenzen des Marxismus – an den revolutionären Tendenzen des Anarchismus anknüpft.
Sozialrevolutionäre Individuen und Gruppen müssen natürlich am reproduktiven Klassenkampf des Proletariats teilnehmen – ohne sich an Gewerkschaften, Tarif- und Betriebsratssystem anzupassen. Dass ist natürlich eine schwierige Gratwanderung zwischen SektiererInnentum und Opportunismus, aber prinzipiell möglich. SozialrevolutionärInnen nehmen selbstverständlich an Klassenkämpfen für höhere Löhne und niedrigere Arbeitszeiten teil, ohne ehrenamtliche oder gar hauptamtliche Funktionen in den größeren Gewerkschaften zu übernehmen, oder sich an den kläglichen Versuchen der „anarcho“-reformistischen FAU tariffähig zu werden, zu beteiligen. Wir nutzen die tendenzielle Radikalisierung durch Klassenkampf, um mit unseren KollegInnen und Klassengeschwistern in einem interaktiven Dialog grundsätzlich Kapital, Lohnarbeit, Patriarchat und Staat zu kritisieren. An Hand des konkreten Klassenkampfes müssen selbstverständlich proletarische RevolutionärInnen auch immer die Gewerkschaftsbürokratie kritisieren und auch schon innerhalb des Gewerkschaftskampfes die proletarische Selbstorganisation stärken. Wenn die Empörung des Proletariats über die Gewerkschaftsbürokratie schon sehr groß ist, kann eine gut verankerte sozialrevolutionäre Strömung Impulse für einen wilden Streik ohne und gegen die Gewerkschaften geben – und für den Aufbau von Organen des selbstorganisierten Klassenkampfes wie unabhängige Streikkomitees, Vollversammlungen, Räte…
Doch kommen wir zur Geschichte des spanischen Kapitalismus vor 1921 zurück. Diese war auch eine Geschichte von Klassenkämpfen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges brachen die Auslandsmärkte der spanischen Agrarproduktion zusammen, was mit einer sozialen Verelendung des Land- und Industrieproletariats und mit einer Radikalisierung des Klassenkampfes verbunden war. Das Militär, soziale Hauptstütze der spanischen GroßgrundbesitzerInnen und Bourgeois, forcierte daraufhin den Klassenkampf von oben. Im Jahre 1923 errichtete General Miguel Primo de Rivera eine Militärdiktatur. Doch mit der sozialen Verelendung der Weltwirtschaftskrise ab 1929, war auch der Versuch der herrschenden Klassen Spaniens durch eine eiserne Militärdiktatur jeden kleinbäuerlichen und proletarischen Widerstand zu ersticken, gescheitert. 1930 musste der Militärdiktator Rivera zurücktreten. Nachdem die Militärdiktatur mit nackter Gewalt nicht mehr in der Lage war, erfolgreich den Klassenkampf von oben zu führen, wurde durch parlamentarische Wahlen im April 1931 – die den Sieg der bürgerlichen Republikaner, einschließlich der sozialistischen PSOE, brachte – eine demokratische Zweite Republik geschaffen, die neben der Gewalt auch ein wenig demokratische Ideologie-Produktion in das Spiel brachte…
Da wir die Geschichte der kurzen Zweiten Republik in den nächsten drei Kapiteln noch ausführlicher als eine Geschichte des Klassenkampfes beschreiben, wollen wir uns am Schluss dieses Kapitels noch ein wenig mit der sozialökonomischen Situation Spaniens am Vorabend des BürgerInnenkrieges beschäftigen. In den 1930er Jahren bestand in Spanien ein Industrieproletariat aus zwei bis drei Millionen Menschen. 1932 waren – bedingt durch die Weltwirtschaftskrise – noch immer 650.000 Arbeitslose registriert. Spanien war in den 1930er Jahren noch im Wesentlichen ein Agrarstaat. So lebten 1936 noch 70 Prozent der spanischen Bevölkerung auf dem Lande. Das waren 200.000 GroßgrundbesitzerInnen, 3 Millionen arme und kleine BäuerInnen und zwei Millionen LandarbeiterInnen ohne jeglichen Besitz an Grund und Boden. Auch viele KleinbäuerInnen konnten von ihrem eigenen Land kaum leben, so dass sie ihre Arbeitskraft zusätzlich an die GroßgrundbesitzerInnen vermieten mussten. Die Ausbeutung des Landproletariats durch die GroßgrundbesitzerInnen müssen wir als halbfeudal-halbkapitalistisch bezeichnen, da die Auszahlung des Lohnes oft noch in Naturalien erfolgte und die GroßgrundbesitzerInnen noch nicht vollständig mit der städtischen Bourgeoise zur herrschenden kapitalistischen Klasse verschmolzen waren. Aber doch war die soziale Verbindung zwischen der städtischen Bourgeoisie und den GroßgrundbesitzerInnen schon so stark, dass erstere unfähig und unwillig zu einer radikalen Bodenreform war. Viele GroßgrundbesitzerInnen waren bei städtischen Banken verschuldet. Diese Kredite wären bei einer Enteignung des Großgrundbesitzes uneintreibbar, also „faul“ geworden. Auch besaßen einige städtische Bourgeois selbst Land.
Gerald Brenan schrieb über die Lebensbedingungen des spanischen Landproletariats: „1930 verdienten sie durchschnittlich 3 bis 3,5 Peseten (1 Peseta = 49 Pfennig) für einen Achtstundentag während vier oder fünf Monaten im Jahre. Im Sommer – unter der schrecklichsten Hitze der andalusischen Sonne – verdienten sie 4 bis 6 Peseten für einen Zwölfstundentag. (…) In der übrigen Zeit (…) (bis zu) sechs Monate lang (…) waren sie arbeitslos. (…) Mit Ausnahme der Erntezeit, wo man ihnen Bohnen gab, bestand ihre einzige Mahlzeit aus gazpacho, einer Suppe aus Öl, Essig und Wasser, auf der Brot schwamm. Zum Frühstück aßen sie sie warm, mittags kalt und abends wieder warm. (…) Viele dieser Familien besaßen keinen Hausrat außer einem Kochtopf und aßen ihre Mahlzeiten auf dem Boden hockend wie Tiere.“ (Gerald Brenan, The Spanish Labyrinth, Cambridge University Press, New York 1943, S. 120/121.)
Die Verschmelzung von Großgrundbesitz und Kapital brachte auch die katholische Kirche Spaniens zum Ausdruck. Als institutionelle Eigentümerin war diese sowohl Großgrundbesitzerin als auch Großkapitalistin. Die katholische Kirche besaß sehr viel Land, war an vielen Betrieben, Bergwerken, großen Warenhäusern und Banken beteiligt und für sie arbeiteten mehr Menschen, als der Staat an BeamtInnen beschäftigte. Felix Morrow schrieb über die Macht der katholischen Kirche zu Beginn der 1930er Jahre: „Ihre berobbten Horden waren eine wahre Armee, die der Republik gegenüberstand: achtzig bis neunzigtausend in 4.000 kirchlichen Ordenshäusern, und über 25.000 Gemeindepriestern –die Zahl allein in den religiösen Orden übertraf so die gesamten Oberschüler und war doppelt so hoch wie die Anzahl der Studenten im Land.“ (Felix Morrow, Revolution und Konterrevolution in Spanien, GERVINUS-Verlag, Essen 1986, S. 30.) Durch ihre christliche Ideologie-Produktion hielt die katholische Kirche das städtische und ländliche KleinbürgerInnentum und Proletariat in geistiger Abhängigkeit von GroßgrundbesitzerInnen und Bourgeoisie. Noch in den 1930er Jahren konnte ein Drittel der spanischen Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Während die katholische Kirche ein wichtiger Ideologie-Apparat der herrschenden Klassen war, stellte die Armee der wichtigste Gewaltapparat des spanischen Staates dar.

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